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19.

Feb 2013

~nia

Das Erziehungs-Chaos

Vollmundig erklärt der Klappentext von Das Erziehungs-Chaos das Buch zu einem 'Wegweiser für Eltern'. Nun habe ich das Glück und die Freude, seit über zwei Jahren ein Elternteil zu sein und muss ganz ehrlich sagen, dieses Buch ist alles, aber kein Wegweiser.

Jürgen Holtkamp bietet eine gesellschaftliche Betrachtung zum Thema Erziehung heute und Erziehung im Wandel der letzten sechzig Jahre. Er beschreibt sehr schön, wie schnelllebig die Zeit geworden ist. Etwa, wenn man darüber nachdenkt, in welchem Tempo sich die Technik überholt und verbessert. Oder wie wenig Rückhalt Eltern heutzutage noch durch ein Netzwerk aus Verwandten (Großeltern, Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen...) haben und somit nicht vorgelebt bekommen, wie 'Kinder erziehen' eigentlich funktioniert. Der Autor teilt die Gesellschaft, inklusive Eltern, in die sogenannten Sinus-Milieus ein. Dahinter verbirgt sich ein Konstrukt, dass von der Markt- und Sozialforschungs-Firma Sinus-Sociovision ins Leben gerufen wurde. Es handelt sich dabei um eine Einteilung der Menschen nach ihrer gesellschaftlichen 'Stellung'. Man nehme die Menschen der verschiedenen Schichten (Ober-, Mittel- und Unterschicht) und betrachte zudem ihrer Grundorientierung im Leben. Also beispielsweise, ob jemand Traditionen schätzt oder lieber neue Dinge erleben will. Sind einem Geld, Werte, Individualität oder eine soziale und tolerante Einstellung wichtig. Heraus kommen dabei dann 10 verschiedene Milieus: die Konservativ-etablierten, Traditionellen, Prekäre, Bürgerliche Mitte, Sozialökologisch, Liberal-intellektuelle, Performer, Adaptiv-pragmatische, Hedonisten und Expeditive.
An diesen Milieus orientiert sich Das Erziehungs-Chaos: Welches Milieu sich wie benimmt, wie seine Kinder erzieht und welche Fehler dabei passieren. Das wird ziemlich dogmatisch abgehandelt - sprich, Milieu X ist so und Milieu Y benimmt sich so usw. Seltsam, dass ich mich beim Lesen spontan in mehreren Milieus wiedererkannt habe. Zwar wird einige Male gesagt, dass Eltern und Kinder individuell und einzigartig sind. Die Ausrichtung des ganzen Buches an den Sinus-Milieus spricht aber eine andere Sprache.

Wer jetzt noch weiter an dieser Rezension liest, dem darf man gratulieren. Er wird mit Das Erziehungs-Chaos zurechtkommen, die Milieus bis ins Detail kennen lernen und dabei das ein oder andere Problem unserer Gesellschaft wiedererkennen. Leider beschränken sich die praktischen Tipps für Eltern, wie man denn im 'Erziehungsdschungel Deutschland' besser oder leichter zurechtkommt auf einige wenige am Ende von über 200 Seiten.
Außerdem ist der Schreibstil von Jürgen Holtkamp wirklich schwer zugänglich. Dass es sich um ein Sachbuch handelt, ist keine Entschuldigung. Auch Sachbücher können hervorragend und unterhaltsam geschrieben sein. Bestes Beispiel: The Emperor of all Maladies: A Biography of Cancer / Der König aller Krankheiten: Krebs - eine Biografie von Siddhartha Mukherjee. Gut geschrieben ist Das Erziehungs-Chaos definitiv nicht. Es wimmelt von Fremdwörtern oder Worten aus dem 'Bildungsbürgertum', die nicht erklärt werden. Zudem sind die Sätze zu lang und strotzen nur so vor Substantiven und Substantivierungen, also Hauptwörtern und Wörtern, die durch das Anhängen von -ung, -heit, -keit zu solchen gemacht werden.

Vielleicht können Pädagogen (etwa Lehrer) ja mehr mit dem Buch anfangen? Da aber keine oder kaum praktische Lösungsansätze für die lang und breit aufgeführten Missstände geliefert werden, wage ich auch das zu bezweifeln. Was soll es bringen, wenn zigfach wiederholt wird, dass sich Pädagogen und Erzieher(innen) von Krippen, Kindergärten, Grund- und weiterführenden Schulen besser austauschen sollten. Sich auch Ärzte, Ämter und andere öffentliche Einrichtungen besser abstimmen müssen. Dass Eltern der unteren Schichten anders angesprochen werden sollten als die der oberen Schichten. Mag ja alles sein, aber interessant sind dann doch eher die folgenden Fragen:
Wie soll der Austausch stattfinden? Wie kann eine Vernetzung begonnen und umgesetzt werden? Wie und womit spricht man die Eltern an? Da es keine Antworten auf diese Fragen gibt und auch sonstige Tipps für Eltern nur ganz vereinzelt auftauchen, kann ich Das Erziehungs-Chaos der Zielgruppe 'Eltern' wirklich nicht empfehlen. Wer eine Betrachtung zum Thema 'Erziehung im heutigen Deutschland - die Probleme der einzelnen gesellschaftlichen Schichten' lesen will, kann es mit Jürgen Holtkamps Buch ja mal versuchen. Trotz einiger interessanter Aspekte, sollte man meines Erachtens aber besser die Finger von diesem Sachbuch lassen.

Fazit: Wenn man einen Überblick über die Erziehungslandschaft in unserem Land bekommen möchte und sehen möchte, wo was im Argen liegt, ist das Buch vielleicht hilfreich. Praktische Lösungsansätze für Eltern bietet das Buch nicht.
Es gibt ganz sicher bessere Bücher zum Thema Erziehung. Empfohlen sei an dieser Stelle, dass lustige und sich selbst nicht so ernst nehmende The Idle Parent / Leitfaden für faule Eltern (Amazon-Partnerlink*) von Tom Hodgkinson. Dessen praktische Tipps konnte ich zwar nur zum Teil nachvollziehen, aber wenigstens werden sie einem überhaupt angeboten.

Ich bedanke mich bei Blog dein Buch und beim Verlag Butzon & Bercker für das Rezensionsexemplar.

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